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Kroatien vor dem Referendum – Was spricht eigentlich für die EU-Mitgliedschaft?

Von Siniša Kušić (Vorstandsmitglied KWKD)

Soll Kroatien EU-Mitglied werden? Nachdem die Beitrittsverhandlungen im Sommer 2011 abgeschlossen wurden, ist nun der Souverän am Zug. Der Souverän ist das Volk, denn laut Verfassung haben die Kroaten bei dieser wichtigen Entscheidung in Form eines Referendums, das für den 22. Januar 2011 angesetzt wurde, das letzte und entscheidende Wort. Das ist gut so, weil die Entscheidung für oder gegen die EU eine weitreichende und langfristige sein wird. Niemand soll den politischen Akteuren später vorwerfen können, das Land ungefragt in eine neue Assoziation geführt zu haben. Um aber eine Entscheidung für oder gegen die EU treffen zu können, müssen die Bürger auch die Fakten und die jeweiligen Argumente kennen, vor allem muss die Diskussion sachlich geführt werden. Was also spricht für eine EU-Mitgliedschaft, und vor allem, was spricht dagegen, haben sich doch in letzter Zeit etliche Gruppierungen und Initiativen in Kroatien – aber auch unter den Kroaten außerhalb ihrer Heimat – zum Ziel gesetzt, die EU-Mitgliedschaft im letzten Moment noch zu stoppen. Interessant erscheint dabei, dass sich bei der negativen Einstellung zur EU-Mitgliedschaft das linke wie das rechte politische Spektrum vereinen und sich zudem einige prominente Zeitgenossen in die Debatte einbringen. Was sind deren Motive, und welche Argumente bringen sie dazu vor? Einem Ökonomen stellt sich zuallererst die Frage, welche finanziellen Vor- und Nachteile das Land durch die EU-Mitgliedschaft erfährt. Nicht minder von Bedeutung ist allerdings auch die Frage, welche politischen bzw. geo-strategischen Implikationen mit der einen oder anderen Variante verbunden sind.

Warum EU?

Kroatien ist – obwohl Peripherie – seit je her ein Teil Europas, so dass eine Vereinigung mit den übrigen europäischen Staaten für sich genommen nichts ungewöhnliches, sondern eher einen logischen Prozess darstellt. Dies umso mehr, wenn man in Betracht zieht, dass Europa bis 1989 geteilt war, und dass nach dem Untergang des Kommunismus der europäische Vereinigungsprozess weitergeführt worden ist. Nachdem auch Kroatien sich vom überkommenen sozialistischen System verabschiedet und als unabhängiger Staat den Weg Richtung Demokratie eingeschlagen hat, ist der Wunsch nach der „Rückkehr nach Europa“, d.h. einem Beitritt zur EU, einem Zusammenschluss demokratischer europäischer Staaten verständlich. Zumal das Land neben der staatlichen Unabhängigkeit vor allem die Integration in euro-atlantische Strukturen zum wichtigsten strategischen Ziel proklamiert hat, d.h. den Beitritt zur Nato sowie die EU-Mitgliedschaft. Im Frühjahr 2009 konnte und das Land das außerordentlich wichtige sicherheitspolitische Ziel der Nato-Mitgliedschaft realisieren. Die Realisierung des weiteren strategischen Zieles, die EU-Mitgliedschaft, ist nach mühevoller Arbeit mit dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen im Sommer 2011 und der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags im Dezember 2011 in greifbarer Nähe. Bevor der Ende 2005 begonnene, und mit Unterbrechungen und Verzögerungen verbundene Prozess im Juli 2013 mit dem eigentlichen EU-Beitritt Kroatiens abgerundet werden kann, steht als letzte Hürde ein Referendum bevor.

Warum Referendum?

Das Referendum ist ein notwendiger Bestandteil des gesamten EU-Beitrittsprozesses, denn die kroatische Verfassung schreibt ausdrücklich vor, dass vor jeglicher Integration in andere Staatsgebilde zwingend das Volk zu befragen ist. Abgesehen davon, dass die Abstimmung aller wahlberechtigten Bürger zu einer bestimmten Fragestellung die unmittelbarste Form und ein Instrument der direkten Demokratie darstellt – und daher zu begrüßen ist – ist das Ergebnis auch mit entsprechender politischer Legitimität ausgestattet und kann von den entscheidenden politischen Akteuren nicht missachtet werden. Die Tatsache, dass die Verfassung ein Referendum vor dem eigentlichen EU-Beitritt festschreibt, ist den negativen Erfahrungen geschuldet, die Kroatien beim Zusammengehen mit Serbien und der Bildung des ersten sowie des zweiten Jugoslawiens gemacht hat, und umso mehr beim Versuch, sich aus diesem Staatsgebilde zu lösen bzw. von seinen südosteuropäischen Nachbarn wieder zu trennen. Erst vor diesem Hintergrund, und der Tatsache, dass Kroatien vor 20 Jahren seine Unabhängigkeit mit hohem Aufwand und vielen Opfern errungen hat, ist die Entscheidung des ersten Präsidenten Kroatiens – Franjo Tudman – zu sehen, vor jeglicher Vereinigung mit anderen Staaten zwingend ein Referendum durchzuführen. Daher ist es auch müßig über die knapp 5 Mio. Kuna zu debattieren, die das Referendum über einen möglichen Beitritt zu Europäischen Union den Steuerzahler schätzungsweise kosten wird.

Konsequenzen der Entscheidung

Häufig wird in öffentlichen Debatten davon gesprochen, es gäbe keine Alternative zum EU-Beitritt. Natürlich gibt es bei anstehenden Entscheidungen immer Alternativen, so auch in dieser Frage. Nur muss man sich auch über die Konsequenzen der Entscheidung im Klaren sein. Was also sind die Konsequenzen, wenn man sich gegen die EU entscheidet? Zunächst einmal sind es ökonomische Aspekte, die näher betrachtet werden müssen. Bei einem negativen Ausgang des Referendums würde Kroatien unmittelbar 180 Mio. Euro weniger für begonnene Reformen und institutionelle Anpassungen zu Verfügung haben und müsste darüber hinaus auf knapp 450 Mio. Euro für EU-Projekte verzichten. Im Jahr 2014 wären es dann schon über eine Milliarde Euro, die man im Rahmen der Kohäsions- und Strukturfonds von der EU erwartet, und die im Falle eines negativen Ausgangs des Referendums ausbleiben würden. Alles in allem viel Geld, wenn man sich die augenblickliche finanzielle Lage Kroatiens vor Augen führt. Die EU-Mitgliedschaft würde dagegen bis Ende 2014 etwa 835 Mio. Euro zu Buche schlagen, so dass kurzfristig die Ablehnung des EU-Beitritts einen negativen Saldo aufweisen würde. Zusätzlich müssen in eine solche Betrachtung auch diejenigen Ausgaben eingerechnet werden, die auf kroatischer Seite während der letzten sechs Jahre im Zuge der Beitrittsverhandlungen und der institutionellen Anpassungen bereits aufgebracht wurden, und bei einem Verbleib außerhalb der EU sunk costs darstellen würden.

Natürlich würde man bei gegebener Zeit das Referendum wiederholen können, es bleibt aber die Ungewissheit, ob sich die EU bei der Frage der Erweiterung ebenfalls eine Auszeit nimmt, und Kroatien dann erst im Paket mit den übrigen südosteuropäischen Nachbarn aufnimmt. Denn aufgrund der Finanzkrise und der Sorge um den Euro hat Brüssel die Erweiterungsstrategie seit geraumer Zeit aus dem Auge verloren. Die Folge ist, dass sich zusehends Erweiterungsmüdigkeit in den Brüsseler Korridoren breitmacht. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es – mit Ausnahme von Kroatien – in diesem Jahrzehnt zu keiner EU-Erweiterung mehr kommen wird. Wenn Kroatien das sich bietende Zeitfenster aufgrund eines negativen Ausgangs des Referendums nicht nutzt, stellt sich unmittelbar die Frage, ob sich die großen finanziellen und administrativen Anstrengungen der letzten vier, fünf Jahre für Kroatien gelohnt hätten, die man unter großen Zeitdruck und möglicherweise mit weitreichenden politischen und geostrategischen Konsequenzen unternommen hat? Man denke da nur an die Zugeständnisse in der Grenzstreitigkeit mit Slowenien, die ohne den Druck der EU-Beitrittsverhandlungen und ohne die Dominanz Sloweniens als EU-Mitglied anders hätten ausfallen können.2 Man denke aber auch an die erzwungene Zusammenarbeit mit dem ICTY, die weitreichenden Zugeständnisse während der letzten acht Jahre an Den Haag, die unkontrollierte Weitergabe von streng vertraulichen Material, Mitschnitten, Protokollen u.a. und insbesondere die Auslieferung derjenigen kroatischen Generäle, die überhaupt erst die Rückeroberung der zuvor von serbischen Aufständischen besetzten Gebiete ermöglicht und zudem zur Beendigung der Kampfhandlungen in Bosnien-Herzegowina beigetragen haben. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die politischen Akteure ohne den Druck der EU-Beitrittsverhandlungen stärker für nationale Interessen eingesetzt haben würden und sich in der ein oder anderen Frage strategischer verhalten hätten.

Zum anderen stellt sich die wirtschaftliche Konsequenz einer solchen Entscheidung, mit der Aussicht für weitere 8 bis 10 Jahre, möglicherweise noch länger außerhalb des EU-Binnenmarktes zu bleiben. Das bedeutet nichts anderes, als dass für kroatische Produkte die noch bestehenden Zölle bzw. Einfuhrquoten für den EU-Binnenmarkt weiterhin Bestand haben, und nicht wie vorgesehen, mit dem EU-Beitritt vollständig wegfallen werden. Die wirtschaftliche Ausrichtung des Landes wird sich nach und nach gegen Südosten verlagern, mit weitreichenden Folgen auf die Wettbewerbsfähigkeit der kroatischen Wirtschaft, denn der notwendige Anpassungsdruck der letzten Jahre aufgrund der Annäherung an die EU würde abnehmen. Viele kroatische Unternehmen würden sich verstärkt den Nachbarstaaten ex-Jugoslawiens zuwenden, da sich die kroatischen Waren auf deren Märkten viel einfacher absetzen ließen. Kurzfristig würde sich dies positiv in den Bilanzen auswirken, mittel- und langfristig könnte es sich als Pyrrhussieg erweisen und die Anstrengungen, um künftig auf dem EU-Binnenmarkt bzw. den globalen Märkten bestehen zu können, konterkarieren.

Perspektiven außerhalb der EU

Welche Konsequenzen ergeben sich eigentlich für Kroatien, wenn es sich freiwillig dafür entscheidet außerhalb der EU zu bleiben? Für eine kleine Volkwirtschaft mit etwa 4,3 Mio. Einwohner, mit der gegebenen Wirtschaftsstruktur und einer geringen Wettbewerbsfähigkeit der Industrie dürften in einer zunehmend globalisierten Welt schwere Zeiten anbrechen, zumal wir wissen, dass die globalen Märkte von großen Spielern beherrscht werden. Zu den USA als traditionelle Wirtschaftsmacht treten neben China seit geraumer Zeit auch weitere „Große“ auf den Plan wie etwa Indien, Russland oder Brasilien, so dass kleinere Staaten verstärkt nach wirtschaftlichen Allianzen suchen und gemeinsame Binnenmärkte bilden. Beispiele dazu existieren sowohl in Asien wie in Südamerika. Neben der EU als natürlicher Allianz und dem E-Binnenmarkt gibt es für Kroatien weit und breit keine nennenswerte Alternative, die groß genug und leistungsfähig wäre, um den Herausforderungen der globalen Märkte etwas entgegensetzen zu können. Aus jetziger Sicht wären potentielle Partner für Kroatien außerhalb der EU all jene, denen es in absehbarer Zeit aus unterschiedlichen Gründen nicht gelingen wird, der EU beizutreten, neben den direkten Nachbarn im Südosten etwa auch Albanien, Moldawien, die Ukraine aber auch jene, die früher zu den Blockfreien gezählt wurden. Es ist an den Bürgern Kroatiens im anstehenden Referendum zu entscheiden, welchen Weg man langfristig beschreiten möchte.

EU: Mangelnde Demokratie und bürokratischer Koloss

Natürlich ist die EU, wie wir sie heute erleben alles andere als Ideal. Häufig wird argumentiert, es sei ein bürokratischer Koloss, der notwendige Anpassungen behindert, die Dynamik unterdrückt und sich in alle Bereiche des täglichen Lebens hineindrängt. Tatsächlich beschäftigt die EU etwa so viele Bürokraten, wie eine mittelgroße deutsche Stadt. Ist das tatsächlich zu viel für etwa 500 Mio. EU-Bürger? Zum anderen wird immer wieder kritisiert, dass die EU nicht demokratisch genug sei, da zahlreiche Entscheidungen ohne Beteiligung der EU-Bürger getroffen würden. Die EU hat in ihrer gegenwärtigen Form unstreitig demokratische Defizite, insbesondere im Verhältnis von Europäischen Parlament zur EU-Kommission, bei der Ernennung von Funktionsträgern aber auch im Zusammenhang mit der Abwendung vom Prinzip der Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen zugunsten von Mehrheitsentscheidungen. Dies ist den Entscheidungsträgern innerhalb der EU durchaus bewusst und es schlägt sich regelmäßig nieder in relativ geringer Wahlbeteiligung zu EU-Parlament. Die verantwortlichen Akteure innerhalb der EU werden an diesem Manko arbeiten müssen, wollen sie in Zukunft eine lebhaftere Beteiligung ihrer Bürger an politischen Entscheidungsprozessen. Allerdings schneidet die EU im Verhältnis zu den Gegebenheiten in Kroatien auch heute so schlecht nicht ab, als dass ein Beitritt zur EU im Hinblick auf Demokratie und Bürokratie ein Schritt zurück wäre, wie es vereinzelte Akteure in demagogischer Manier ihren Bürgern zu verkaufen versuchen. Im Gegenteil.

EU als sinkendes Schiff

Ein weiteres Argument gegen einen EU-Beitritt ist die These, dass die EU in der jetzigen Verfassung nicht mehr lange Bestand haben wird, dass die EU zerfällt. Nicht selten werden Parallelen mit dem tragischen Ende der Titanic gezogen. Als Begründung führen die EU-Gegner die Schuldenkrise an, sowie die Unsicherheit des Euros als künftige gemeinsame Währung an. Aus dieser Sicht, so ihre Begründung, wäre es für Kroatien besser, der EU nicht beizutreten, sozusagen um an den Kosten des Zerfalls nicht beteiligt zu werden. Dieses Argument verdient es, genauer betrachtet zu werden, denn der gegenwärtige Zustand der EU gibt in der Tat keinen Anlass zu einem generellen Optimismus. Nationaler Egoismus und Uneinigkeit innerhalb der Union führen dazu, dass der Stern der EU schon heller geleuchtet hat und inzwischen an Anziehungskraft eingebüßt hat. Bei all der berechtigten Kritik müssen wir uns aber immer vergegenwärtigen, dass die Geschichte der EU seit über einem halben Jahrhundert eine Erfolgsgeschichte ist, die dem Kontinent neben Wohlstand und offenen Grenzen auch Frieden gesichert hat, so dass im Vergleich mit anderen Teilen der Welt unser Europa als ein ruhiger und sicherer Erdteil erscheint. Wir müssen uns auch klar werden, dass die EU in der Vergangenheit bereits eine Fülle von Problemen unterschiedlichster Art bewältigt hat und meistens gestärkt daraus hervorgetreten ist. Was also, wenn sich die These vom EU-Untergang nicht bewahrheitet, wenn die EU aus der jetzigen Euro- und Schuldenkrise gestärkt hervorgeht und auch die institutionellen Hindernisse überwindet? Wie hoch wären dann die Kosten einer verpassten Mitgliedschaft für Kroatien? Dazu schweigen sich die Verkünder des EU-Untergangs leider aus.

Vergleich EU – (ex)Jugoslawien

Ein häufig vorgebrachtes Argument der EU-Gegner ist der, dass Kroatien erst vor kurzem die staatliche Unabhängigkeit errungen hatte und nicht wieder in eine neue Staatengemeinschaft eintreten sollte. Als Schreckgespenst ziehen sie häufig den Vergleich mit dem zerfallenen Jugoslawien hervor. Dies ist nicht nur völlig falsch, sondern unredlich, denn es stellt eine Verhöhnung der vielen Opfer des Tito-Regimes dar, wenn man Titos Jugoslawien mit der heutigen EU vergleicht. Abgesehen davon, dass man einen Zusammenschluss demokratischer Staaten (EU) nicht mit einem künstlich geschaffenen, und autoritär bis diktatorisch regierten Gebilde (SRFJ) vergleichen kann, werden EU-Bürger heute wegen politischer Überzeugung weder polizeilich verfolgt, noch müssen sie Jahre ihres Lebens in Gefängnissen verbringen, und erst recht müssen sie nicht um ihr Leben bangen. Es existiert in der EU weder ein Goli otok, noch eine UDBA, die ihre Bürger im Auftrag des Staates außerhalb des Staatsgrenzen ermorden lässt. Und schließlich, um den Vergleich zum Absurdum zu bringen, kann heute jedes EU-Mitglied die Europäische Union verlassen, was man im Fall von Jugoslawien – siehe die tragischen Geschehnisse der 90er Jahre – bei Leibe nicht behaupten kann.

Ausverkauf Kroatiens

Ein immer wiederkehrendes Argument gegen einen EU-Beitritt ist ein drohender Ausverkauf der  nationalen Schätze oder des Tafelsilbers. Die großen Unternehmen aus dem Westen würden die kroatischen Unternehmen aufkaufen, die reichen EU-Bürger sich die schönsten Häuser entlang der kroatischen Küste unter den Nagel reißen. Dieses Argument kann man verhältnismäßig einfach entkräften: Zum einen wurde bereits in den 90er Jahren und insbesondere nach 2001 der Großteil der kroatischen Unternehmen und Banken im Zuge der Privatisierung an ausländische Investoren verkauft (heute besitzen die ausländischen Banken etwa 90 % der Bankaktiva Kroatiens), d.h. die kroatischen Unternehmen und Banken sind auch unabhängig von der EU-Mitgliedschaft in fremde Hände übergegangen, so dass die Forderungen einiger Initiativen in Kroatien wie etwa „budimo svoji, ne u EU“ oder „ne HR kao parcela za EU-Kapital“ mitunter wie Hohn klingen, wohl wissend, dass dieser Prozess bereits mehr oder weniger abgeschlossen ist, und zwar auch ohne EU-Mitgliedschaft. Zum anderen hatte der Verkauf kroatischer Unternehmen an ausländische strategische Investoren nicht unbedingt negative Auswirkungen, wenn man die Leistungsfähigkeit einzelner Unternehmen heute mit denen der 90er Jahre oder davor vergleicht. Und nicht selten hätte die Alternative dazu schlicht die Schließung der überwiegend unrentablen und unterkapitalisierten Unternehmen aus der Ära des Gesellschaftseigentums und der Arbeiterselbstverwaltung bedeutet. Letztendlich hängt es in erster Linie von den heimischen Gesetzen und den verantwortlichen Akteuren d.h. den kroatischen Politikern ab, inwieweit sie willens und imstande sind, die nationalen „Schätze“ zu beschützen. Die bisherigen Erfahrungen auf diesem Gebiet – auch vor Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen – geben wenig Anlass zu übertriebenen Optimismus.

Verlust der Identität

Häufig wird von den Gegnern des EU-Beitritts vorgebracht, dass Kroatien zu klein und ohnmächtig gegenüber den Großen innerhalb der EU sei, und als ein Volk von 4,3 Millionen inmitten einer Gemeinschaft von 500 Millionen EU-Bürgern Gefahr laufe, seine kulturelle Identität zu verlieren. Grundsätzlich besteht die Gefahr für kleine Völker und deren Kultur immer, wie uns die Geschichte lehrt. Dies trifft allerdings unabhängig davon zu, ob innerhalb oder außerhalb der EU. Es will nicht einleuchten, wieso es Kroatien ohne EU-Mitgliedschaft leichter fallen sollte die eigene Identität zu bewahren, als innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft. Man denke etwa an Finnland, deren kulturelle Eigenarten, Musik, Kunst, aber auch die Schönheiten des Landes eigentlich erst nach EU-Mitgliedschaft

auch außerhalb Finnlands bekannt geworden sind, indem es die sechs Monate währende EU-Ratspräsidentschaft zur eigenen Promotion hervorragend genutzt hat. Es liegt auch in diesem Fall nicht zuletzt an den gewählten Volksvertretern, in dieser sensiblen Frage Maßnahmen zu ergreifen, um die Identität, Sprache und Kultur des eigenen Lands zu fördern und zu beschützen. Die Art und Weise wie man in den vergangenen Jahren in Kroatien bei der Pflege der eigenen Sprache umgegangen ist (z.B. die öffentliche Fernsehanstalt HRT oder vom kroatischen Bildungsministerium finanzierte Buch-Projekte), lässt vermuten, dass manches mit dem EU-Beitritt nur besser werden kann. Als ermunterndes Beispiel sei hier angebracht, dass Kroatisch im Rahmen der EU-Beitrittsprozesses als weitere offizielle Sprache innerhalb der EU angenommen ist. Darauf lässt sich aufbauen.

EU als Schlaraffenland, oder was Kroaten tatsächlich vom EU-Beitritt erwarten können?

Der Beitritt zur EU bedeutet für kroatische Bürger nicht automatisch ein besseres Leben und höhere Einkommen. Der Unterschied zwischen dem BIP pro Kopf in Kroatien und dem Durchschnitt innerhalb der EU ist immer noch groß. Daher machen sich diejenigen, die den Bürgern in Kroatien Honig und Milch im Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft versprechen, mitschuldig an der Ernüchterung, die notwendigerweise eintreten wird, wenn sich diese Vorstellungen nicht von selbst und vor allem nicht für alle gleichermaßen realisieren. Die Wahrheit ist vielmehr, dass sich die Mentalität und die Arbeitsweise in Kroatien wird drastisch ändern müssen, will man auch nur einen ähnlichen Lebensstandard erreichen, wie ihn die meisten EU-Bürger heute genießen. Auf der anderen Seite versuchen einige kroatische Protagonisten die Lebensumstände innerhalb der EU in möglichst düsteren Farben darzustellen, damit den eigenen Bürgern von selbst die Lust vergeht, Teil dieser Staatengemeinschaft zu werden. Einige unter diesen Akteuren haben allerdings noch niemals oder nur gelegentlich ihre Zeit außerhalb der eigenen Staatsgrenzen verbracht, so dass ihre Sicht der europäischen Realitäten für all jene, die seit Jahrzehnten EU-Bürger sind, mitunter absurd erscheinen muss. Was können die Kroaten tatsächlich vom EU-Beitritt erwarten? Der Einfachheit halber seien hier nur einige Stichpunkte angeführt, deren Vorteile sich von selbst erklären: Wegfall der Schengen-Grenzen für Reisende (mit einem Übergangszeitraum für die gesamte EU), unkomplizierte Arbeitsaufnahme kroatischer Bürger innerhalb der EU, Wegfall von Aufenthaltsgenehmigungen, Duldungen u.ä., Wegfall astronomisch hoher Bankgebühren bei Geldüberweisungen von Kroatien in der EU und umgekehrt, die Möglichkeit für Studenten innerhalb der EU gesammelte Creditpoints ohne weitere Genehmigungsverfahren in Kroatien anrechnen zu lassen, leichterer Zugang zu know how, brain circulation statt brain drain, höhere Standards bei Produkthaftung und noch einiges mehr.

Fazit

Niemand wird heute ernsthaft bestreiten, dass der Entschluss, vor etwa 10 Jahren den Annäherungsprozess eingeläutet zu haben und in EU-Beitrittsverhandlungen einzutreten, dem Land geschadet hätte. Im Gegenteil, vieles hat sich in Kroatien allein aufgrund des Drucks aus Brüssel verändert, der begonnene Kampf gegen die Korruption und viele institutionelle Verbesserungen wären womöglich ausgeblieben. Daher kann man mit einiger Sicherheit behaupten, dass Kroatien heute ein anderes Land ist als noch vor Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen. Warum also sollte man so kurz vor dem Ziel das Ruder schlagartig herumreisen, eine andere Richtung einschlagen, eine Richtung deren Ausgang heute niemand voraussehen kann? Zumal diejenigen, die am lautesten für einen „eigenen“ Weg außerhalb der EU plädieren, lediglich diffuse Vorstellungen von der Zukunft des Landes anbieten.

Kroatien wird (im Falle eines positiven Ausgangs des Referendums) auch einer gänzlich anderen EU beitreten, als sie es noch zu Beginn der Beitrittsverhandlungen war, denn der europäische Integrationsprozess erfolgt stetig und mit kleinen Schritten, häufig nach dem trial-and-error Prinzip, so dass Krisen und Rückschläge nicht auszuschließen sind. Natürlich ist der anvisierte Zeitpunkt des Beitritts, mit Blick auf die gegenwärtige Krise innerhalb der EU aus kroatischer Sicht nicht gerade glücklich gewählt. Historische Prozesse, und der Integrations- und Beitrittsprozess ist ein solcher, sind allerdings kein Wunschkonzert, und es ist heute mehr als müßig darüber zu debattieren, ob Kroatien nicht hätte früher zur europäischen Staatengemeinschaft dazu stoßen können. Wir können nur konstatieren, dass sich jetzt das Zeitfenster für die EU-Mitgliedschaft geöffnet hat. Kroatien sollte daher nach dem Motto „besser spät als nie“ ohne weitere Verzögerungen beitreten und innerhalb der Staatengemeinschaft seinen festen Platz finden. Nur wenn man mit am Tisch sitzt, an dem Entscheidungen getroffen werden, kann man seine Zukunft aktiv mitgestalten, kann Subjekt statt Objekt sein. Im Vorzimmer der Geschichte war Kroatien schon viel zu lang.

Der Autor wurde in Zagreb geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und Experte für wirtschaftliche Entwicklung in Südosteuropa mit Schwerpunkt Kroatien. Dr. Siniša Kušić ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher und hat inzwischen über 80 wissenschaftliche und fachliche Arbeiten veröffentlicht. Seine Dissertation zur Privatisierung in Kroatien wurde 2002 mit dem Wolfgang Ritter-Preis prämiert. Zur Zeit habilitiert sich Dr. Kušić an der J.W.Goethe-Universität Frankfurt und arbeitet als Gutachter und Berater an verschiedenen Projekten im In- und Ausland. Er ist Begründer und Mitherausgeber der wissenschaftliche Reihe „Socio-Economic Perspectives in South-Eastern Europe“ beim Peter Lang Verlag, Mitglied des Editorial Board der Zeitschrift SEE – South East European Journal of Economics and Business, Mitglied des Editorial Board der Zeitschrift International Journal of Transition and Innovation Systems – IJTIS, Mitglied der kroatischen Arbeitsgruppe im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen, Vorstandsmitglied des Kroatischen Weltkongresses in Deutschland (KWKD) und stellvertretender Vorsitzender der CDU Liederbach bei Frankfurt am Main.

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