Kroatien: Mit dem Gasmann durch Zagreb
Die kroatische Hauptstadt überrascht mit einem Berg, einem Museum der gebrochenen Herzen und einer kilometerlangen Einkaufsstraße.
Zagreb. Immer wenn es dämmert, kommt er. Der Gasmann, ein Herr von den Zagreber Stadtwerken, der immer gut bei Fuß ist. Wer ihm folgt, sollte ebenfalls – wegen des Kopfsteinpflasters – seine bequemsten Schuhe tragen. Denn am Ende des eineinhalbstündigen Weges haben wir nicht nur alle Gassen des mittelalterlichen Zagrebs abgewandert, samt dessen hintersten Winkeln. Sondern der Gasmann hat unterwegs auch alle 202 durchnummerierten Gaslaternen der Oberstadt angezündet. Am Morgen, sobald der Tag dämmert, dasselbe Spiel: Frühaufsteher können den Mann während seines 3,5 Kilometer langen Dienstweges beobachten, wenn er das warme Licht der Gaslaternen wieder löscht.
Zagreb – erst vor 21 Jahren zur Hauptstadt des jungen Kroatien ernannt – wartet aber noch mit unzähligen weiteren Spaziergängen auf. In der Unterstadt können Gründerzeit- und Jugendstilprachtbauten bewundert werden. Durch die Ilica, eine etwa sechs Kilometer lange Einkaufsstraße, rumpelt die Straßenbahn, sodass ein ausgiebiger Bummel jederzeit verkürzt werden kann. Und den Ehrgeiz, alle Museen während einer mehrtägigen Visite Zagrebs besichtigen zu wollen, begräbt man am besten gleich: Das sind wirklich zu viele.
Drei sollen lediglich erwähnt werden, drei im Originalzustand, der kroatischen Moderne, erhaltenen Wohnungen: die Wohnateliers des Architekten Viktor Kovacic (1874-1924), der Malerin und Dichterin Cata Dujšin-Ribar (1897-1994) und des vielleicht bedeutendsten kroatischen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts Miroslav Krleža (1893-1981). Ein privates Zagreb in Bestform.
Noch ein viertes einmaliges Museum, das Museum der Zerbrochenen Beziehungen, muss genannt werden. Auch das ist sehr jung. Erst im Oktober 2010 wurde es eröffnet, gegenüber dem Museum für Naive Kunst, in einem verwinkelten Häuschen in der Oberstadt. Begonnen hatte es als künstlerische Installation über das, was bleibt, wenn eine Liebe endet. Der Künstler Dražen Grubišic und die Festivalproduzentin Olinka Vištica sammelten, nachdem sie kein Paar mehr waren, sichtbare Erinnerungen einstiger Beziehungen von Freunden. So entstand zunächst eine Wanderausstellung und im Oktober 2010 diese skurrile Erinnerungsstätte, die im Vorjahr auf Anhieb zum innovativsten Museum Europas gewählt wurde.
Ob Teddybär, Rennrad, Bügeleisen oder dieses spinnenartige Gerät (das erotische Kopfmassagen ermöglicht und jeder Esoterikladen vorrätig hat), alle Gegenstände sind – gleich kostbaren Preziosen – auf unschuldig-weißen Podesten ausgestellt. Dabei steht seine Geschichte, erzählt vom Stifter des Gegenstands. Frage an die Museumsleiterin, ob jeder zur Sammlung beitragen dürfe? „Da!“, ein eindeutiges Ja auf Kroatisch.
Neben diesem Privatissimum durchlebter Trennungen lässt sich in Zagreb aber auch die Geschichte der Kroaten entdecken. Südlich der Save, beim heutigen Dorf Šcitarjevo, wurde Mauerwerk der alten Römer ausgegraben. Um 600 n. Chr. gelangten Slaven in das breite Savetal; aus dem 8. und 9. Jahrhundert stammen noch Reste erster Befestigungen auf dem Kaptol, dem Vorplatz der ehrwürdigen Kathedrale. 1355 wird die erste Apotheke erwähnt, die sich damals wie heute eine Minute vom historischen Steintor befindet. 1557 notieren die Annalen Zagreb erstmals als kroatisch-slawonische Hauptstadt.
Auf Schritt und Tritt wird kroatische Geschichte spürbar, nicht zuletzt in Form der gemütlichen Kaffeehäuser, die an die K.-u.-k.-Vergangenheit erinnern. Oder die sozialistische des 20. Jahrhunderts: Anerkennend reden viele Zagreber von Tito, doch noch lieber sprechen sie von ihren Hoffnungen, dass alles künftig besser werde, wenn sie voraussichtlich am 1. Juli 2013 offiziell in die EU aufgenommen werden. Lidl, Hugo Boss und Konsorten sind ohnehin schon aus dem Westen gekommen und haben sich etabliert.
Doch etwas ist noch nicht da, und das ist phantastisch: Man kann nachts, auch mutterseelenallein, durch die Stadt bummeln und fühlt sich sicher. Kann das sein? Unsere junge Stadtführerin Darija bestätigt, ja, noch habe der Sozialismus auch auf diesem Gebiet seine Spuren hinterlassen, westliches Kriminalitätsgebaren sei in Zagreb, das inzwischen etwas mehr als 700000 Einwohner zählt, nicht zu finden.
Die Zagreber sind stolz auf ihre Stadt. Nicht zuletzt auf ihren Medvednica, den Bärenberg, eine knapp 23000 Hektar große Waldlandschaft mit Wanderwegen, die sich im Norden der Stadt anschließt und bequem mit Straßenbahn oder Bus zu erreichen ist. Unter seinem höchsten Gipfel, dem 1035 Meter hohe Sljeme, treffen sich seit acht Jahren in der ersten Januar-Woche FIS-World-Cup-Skifahrerinnen, um sich mit einer rasanten Slalomabfahrt die „Snow Queen Trophy“ zu sichern.
Wem der melancholische Charme Zagrebs mehr liegt, bleibt im Stadtzentrum. Seilbahn kann er trotzdem fahren, wenngleich die kürzeste Europas: 66 Meter misst die blaue Drahtseilbahn, die einen idyllischen Treppenlauf von der Unter- in die Oberstadt überbrückt. Die Legende für die 1890 erbaute Bergbahn geht wie folgt: Graz, Budapest und Triest besaßen damals ein Drahtseilbahn, also bestanden die Zagreber, damals noch Untertanen der österreichisch-ungarischen Monarchie, auch auf eine. Zeitersparnis: geschätzte drei Minuten, um von der Unterstadt in die Oberstadt zu gelangen.
Quelle: Hannoversche Allgemeine (24.03.2012). URL: http://www.haz.de/Freizeit/Reisen/Uebersicht/Mit-dem-Gasmann-durch-Zagreb