Großkreuz für Mörder
Die Familien von Opfern verlangen, dass den Diktatoren Tito und Ceausescu postum der höchste deutsche Orden aberkannt wird.
Schüsse, ganz in der Nähe. Oder war es doch nur der defekte Auspuff eines Mopeds? Ein paar Anwohner der Ostendstraße in Frankfurt am Main schrecken kurz hoch, schlafen dann aber wieder ein. Draußen die bitterkalte Nacht, es ist kurz vor 3 Uhr, ein Sonntag im Januar 1980.
Sechs Stunden später findet ein Spaziergänger auf dem Parkplatz den kroatischen Exil-Politiker Nikola Milicevic, 42, er liegt neben seinem hellblauen Mercedes. Aus der steif gefrorenen Leiche des Maschinenschlossers holt der Gerichtsmediziner später sechs Kugeln, Kaliber 7,65. Die Frankfurter Kriminalpolizei, die Milicevic als engagierten Gegner des jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito kennt, vermutet hinter dem Mord gleich ein politisches Motiv.
Die sechs Kugeln, die ihren Mann aus dem Hinterhalt töteten, sollten eine Drohung aus Belgrad an alle Regime-Kritiker in Deutschland sein, weiß Witwe Ljubica Milicevic heute nach Durchsicht alter Akten.
Die dramatische Vorgeschichte: Am Flughafen Zagreb waren im Mai 1978 vier Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) festgenommen worden, darunter die an der Schleyer-Entführung Beteiligten Brigitte Mohnhaupt und Peter Jürgen Boock. Wenig später hielt die jugoslawische Botschaft in Bonn der Bundesregierung einen Köder hin.
Belgrad bot an, die verhafteten RAF-Leute nach Deutschland zu überstellen. Im Gegenzug verlangte Jugoslawien die Auslieferung von acht Exil-Kroaten – darunter Nikola Milicevic aus Frankfurt.
Der damalige Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) lehnte den Deal ab. „Für diese Entscheidung ist meine Familie nachträglich dankbar“, sagt Ljubica Milicevic, „aber zugleich war damit klar, dass mein Mann ab sofort auf einer Todesliste stand.“
Die Witwe und ihre fünf Kinder überstanden bittere Zeiten. Der erschossene Ehemann wurde als Politgangster diffamiert, nachts kamen Drohanrufe mit serbischem Akzent. Doch noch viel schmerzlicher ist für die Familie bis heute dieser Fakt: Jugoslawiens Diktator Tito, der – wie man längst weiß – persönlich die Befehle zur Ermordung von Dissidenten erteilte, ist bis heute Träger des höchsten Ordens, den die Bundesrepublik verleiht.
In Bonns sozialliberalen Kreisen sehr geschätzt
Ex-Partisan und Kommunist Tito, trotz seiner Beteiligung im Zweiten Weltkrieg an Massenerschießungen und Vertreibungen damals in Bonner sozialliberalen Kreisen sehr geschätzt, wurde im Juni 1974 große Ehre zuteil: Bundespräsident Gustav Heinemann verlieh ihm die „Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“.
Mit dem achtzackigen Bruststern wurden bisher zirka 40 Staatsoberhäupter ausgezeichnet, darunter Königin Elisabeth II., der frühere Arbeiterführer Lech Walesa sowie der kürzlich verstorbene Rebell und Dichter Vaclav Havel.
„Ist es nicht eine Schande für Deutschland, in der Reihe dieser Ordensträger einen Mörder wie Tito zu sehen?“, fragt Milicevics Tochter Karmela.
Im Familienkreis haben sie kürzlich beschlossen: Sie wollen über eine Eingabe beim Bundespräsidenten Christian Wulff erreichen, dass dem 1980 verstorbenen Tito, dem obersten Chef der jugoslawischen Todesschwadrone, postum der Orden aberkannt wird. Diese Initiative, so ihre Überzeugung, sind sie dem ermordeten Ehemann und Vater schuldig.
Die Killerbrigaden aus Belgrad kannten keine Gnade. 67 Dissidenten fielen ihnen in der Zeit zwischen 1945 und 1989 in der Bundesrepublik zum Opfer, so ein Gutachter vor dem Münchner Oberlandesgericht im Jahr 2008.
In dem Prozess ging es um die Ermordung des Kroaten Stjepan Durekovic, der 1982 nach München geflohen war und ein Buch über korrupte jugoslawische Politiker schreiben wollte. Zwei Killer schlugen ihm ein Jahr danach mit der Axt den Schädel ein.
Das Gericht verurteilte einen Komplizen der flüchtigen Täter zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Die per Haftbefehl gesuchten Drahtzieher aus Titos Geheimdienstapparat halten sich derzeit in Kroatien auf – sie werden nicht ausgeliefert.
Durekovics Witwe Gisela, die nach der Ermordung ihres Mannes auch noch den Sohn durch ein Attentat verlor, sitzt heute verbittert in ihrer Wohnung in Zagreb. Genosse Tito hat ihr alles genommen – und dafür steht er in der Riege der höchsten deutschen Ordensträger?
Die alte Dame will jetzt – wie Familie Milicevic – über ihre Reutlinger Anwälte Davor und Zlatko Prtenjaca Bundespräsident Wulff auffordern, Titos Orden postum abzuerkennen. Außerdem erwägen die Hinterbliebenen eine Schadensersatzklage, gerichtet an die Rechtsnachfolger des kommunistischen Regimes.
Der jugoslawische Geheimdienst sah sich damals in der Verteidigerrolle. Alle Aktionen, so die offizielle Sprachregelung, dienten nur dazu, aus Deutschland agierende Rädelsführer zu stoppen. Als gefährlichen Provokateur stufte etwa Jugoslawiens Generalkonsulat in Stuttgart den Kosovo-Albaner Jusuf Gervalla ein, der mit einer Exil-Zeitung und populären Liedern Stimmung gegen Belgrad gemacht haben soll.
„Dann kam der absolut tödliche Nachschuss“
Dies hatte Folgen. Untergruppenbach bei Heilbronn, Januar 1982: Jusuf Gervalla, 36, sein Bruder Bardosh, 31, und ihr Freund Zeka Kadri, 28, fahren mit ihrem BMW rückwärts aus der Garage. Plötzlich tauchen zwei Männer auf. Sie schießen zwölfmal auf die drei Pkw-Insassen, treffen Lunge, Herz und Genick.
Ein Polizeiexperte stellt später fest: „Es waren pro Person drei Schuss, um das Opfer festzunageln, dann kam der absolut tödliche Nachschuss. Das waren Profis.“
Bis heute gibt es keine eindeutige Spur zu den Mördern – allein ihr blutiges Handwerk spricht für die Methode Belgrad. Das Bayerische Landeskriminalamt, in Deutschland bestens vertraut mit Titos Schergen, ermittelt nach wie vor in dem Kriminalfall.
Donika Gervalla, Tochter des Literaten und Musikers Jusuf Gervalla, erhebt im FOCUS-Gespräch schwere Vorwürfe: „Der Auftragsmord an meinem Vater war auch deshalb möglich, weil er trotz seiner Bitten um Schutz vor einem Attentat keine Hilfe von den deutschen Behörden erhielt. Dass der wichtigste Repräsentant dieses Systems von Repression, Folter und Mord, General Tito, den Orden erhielt, ist eine moralische Schande.“
Tito ist nicht der einzige Diktator aus dem früheren Ostblock, dem die höchste deutsche Auszeichnung verliehen wurde. Der rumänische Potentat Nicolae Ceausescu, mit Ehefrau Elena am 1. Weihnachtstag 1989 an die Wand gestellt und hingerichtet, erhielt bereits drei Jahre vor Tito, im Mai 1971, das Großkreuz.
Auch dagegen rührt sich jetzt massiver Widerstand. „Eine Aberkennung des Ordens für Ceausescu wäre eine wichtige Korrektur und ein deutliches Signal für zukünftige Verleihungen dieses Ordens“, sagt die aus Rumänien stammende deutsche Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.
Das Bundespräsidialamt bekundet Verständnis für das „Anliegen der Familien“, hält indes derzeit postume Ordensentziehungen für nicht möglich. Der Grund: Da die Ordensträger verstorben sind, können auch keine Anhörungen zur Sache mehr unternommen werden.
Brutales Geheimdienst-Monster
Die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft in Berlin sieht gleichwohl Ordensträger wie Havel und Walesa als geschädigt an, wenn „kommunistische Verbrecher diese Ehrung haben“.
Ceausescus brutales Geheimdienst-Monster, die Securitate, hat eine extrem lange Blutspur in Deutschland hinterlassen. Zu den frühen Opfern zählt der einst in Rumänien populäre Discjockey Cornel Chiriac, der sich 1969 nach Bayern absetzte und über den Sender Radio Free Europe (RFE) in München seine Hörer in der alten Heimat erreichte. Im März 1975 verstummte Chiriacs Stimme für immer. Nach einem Schwabinger Kneipenbummel starb der Discjockey durch zwölf Messerstiche.
Auch in Haar bei München war ein scharfes Messer die Tatwaffe, als Emil Georgescu, Ceausescus schärfster Kritiker im RFE, im Juli 1981 in einer Tiefgarage überfallen wurde. 25-mal stach der Täter zu. Redakteur Georgescu, dem jeden Abend um 18.10 Uhr Millionen Rumänen am Radio lauschten, überlebte das Attentat nur knapp.
Das Bundesinnenministerium listete drei Jahre nach dem Attentat auf Georgescu die besondere Heimtücke der Securitate-Killer auf: „Benutzt wurden Sprengstoffbriefe und -pakete sowie langsam wirkende Gifte; auch Messerstecher wurden gedungen“, heißt es in einem internen Bericht, der FOCUS vorliegt.
Zu dieser Analyse passt ein Vorfall aus dem Jahr 1975. Drei führende rumänische Emigranten starben in Bayern bei einem Autounfall. Die Ursache: Herzinfarkt des bis dahin kerngesunden Fahrers. Nur wenig später teilte die Securitate ihrem Gebieter Ceausescu mit: Operation erfolgreich abgeschlossen.
Quelle: FOCUS (16.01.2012). URL: http://www.focus.de/panorama/reportage/tid-24980/report-grosskreuz-fuer-…