Der Tagesspiegel (17.11.2012): Balkankriege: Ganz Kroatien fühlt sich freigesprochen
Das UN-Kriegsverbrechertribunal kippt die Urteile gegen die Ex-Generäle Gotovina und Markac. „Wirwerden jetzt für immer glücklicher sein“, sagt der Anwalt Luka Topolnik. „Denn das Urteil zeigt, dasswir kein Verbrecherstaat sind. Es war ein Verteidigungskrieg.“
Ein Betrunkener tanzt eine kroatische Fahne in der Luft schwenkend vor dem riesigen Bildschirmauf dem Hauptplatz von Zagreb. Vor ihm auf der Leinwand sind kroatische Soldaten vor einerKarstlandschaft zu sehen, die offenbar vom heldenhaften Krieg erzählen. Davon ist aber nichts zu hören.Denn es ist sehr laut am Ban-Jelacic-Platz an diesem 16. November.
„Wir sind stolz, wir sind glücklich“, ist von allen Seiten zu hören. Der Platz ist kaum wiederzuerkennen.Wo sonst Marktfrauen in dicken Jacken und Kopftüchern Blumen verkaufen, marschieren nunhochgewachsene Männer in Uniformen mit grünen und roten Baretten, so als hätten sie gerade einenKrieg gewonnen.
Passanten tragen kroatische Fahnen um die Schultern oder Gotovina-T-Shirts. An einer Bretterbudekann man sich in ein Gedenkbuch für die Generäle eintragen. Kerzen werden angezündet. DieBoulevardzeitung „24 Stunden“ hat eine Sonderausgabe gedruckt. „Helden“ wird da schlicht getitelt.
Kurz nachdem die beiden kroatischen Ex-Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac am Freitag vomDen Haager Kriegsverbrechertribunal in einem Berufungsverfahren freigesprochen wurden, brach invielen Städten Kroatiens Jubel aus. Die Menschen weinten, lagen sich in den Armen. Der Freispruch gilthier als Freispruch für die gesamte Nation.
„Es ist ein historischer Tag“, sagt der ehemalige Soldat der vierten Brigade, der „Gotovina persönlichkennt“ und mit ihm gemeinsam vier Tage Anfang August 1995 bei der Operation Oluja gekämpft hat. „Alsdie Generäle im Gefängnis waren, war ich auch gefangen. Und jetzt, da sie frei sind, ist auch meine Seelefrei“, sagt er und nimmt einen Schluck Bier.
Bei der Operation Oluja (Sturm) wurde jenes Drittel des kroatischen Staatsgebiets, das seit dem Krieg1991 von serbischen Truppen besetzt war, durch das kroatische Militär zurückerobert. Während derOffensive wurden mehr als 300 serbische Zivilisten ermordet und rund 90 000 gewaltsam vertrieben. Derehemalige Soldat, der seinen Namen nicht nennen will, gibt zu, dass es nach Oluja Verbrechen gegebenhaben könnte. „Ich habe einiges gehört“, sagt er. „Aber da waren wir schon weg.“ Sein Sohn schreibt ihmeine SMS: „Wir fahren nach Pakoštane zum Feiern.“ Pakoštane ist der Geburtsort von Gotovina.
Präsident Ivo Josipovic betont, dass Kroatien einen „gerechten Verteidigungskrieg“ geführt habe. „DieGeneräle haben acht Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht“, sagt Josipovic. Als Oberbefehlshaber derHeeres bedanke er sich „für das Opfer“. Um einiges nüchterner reagierte Premier Zoran Milanovic. „Eshandelt sich offenbar um zwei unschuldige Leute. Das heißt aber nicht, dass es keine Fehler in diesemKrieg gegeben hat, wofür der Staat Kroatien schuldig ist, aber nicht Gotovina und Markac“, sagteMilanovic.
Tatsächlich haben die Haager Berufungsrichter nicht gesagt, dass es während der Operation Oluja keineKriegsverbrechen gab. Sie haben festgestellt, dass der Tatbestand der Bildung einer „gemeinsamen
verbrecherischen Unternehmung“ zur dauerhaften und gewaltsamen Vertreibung der Serben ausder Krajina nicht nachgewiesen werden konnte. Ein zweiter wichtiger Punkt des Urteils betrifft denArtilleriebeschuss der Stadt Knin in der Krajina. Dieser sei nicht gesetzeswidrig gewesen, stellten dieRichter fest. Mit einem ersten Urteil im April 2011 waren Gotovina und Markac wegen Verbrechen gegendie Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu 24 und 18 Jahren Haft verurteilt worden.
Bereits kurz nach dem Urteilsspruch wurden die Generäle in Den Haag freigelassen und flogen RichtungZagreb. „Wir werden jetzt für immer glücklicher sein“, sagt der Anwalt Luka Topolnik. „Denn das Urteilzeigt, dass wir kein Verbrecherstaat sind. Es war ein Verteidigungskrieg“, sagt der 37-Jährige. Und dieSerben? „Wenn ich Serbe wäre, würde ich jetzt glauben, dass Europa uns nicht will.“
Quelle: Der Tagesspiegel (17.11.2012), Adelheid Wölfl. URL: http://www.tagesspiegel.de/politik/balkankriege-ganz-kroatien-fuehlt-sic…