FAZ Online (16.11.2012): Kriegsverbrechertribunal – Zeit für die Revision
Nach der Revision im Fall der kroatischen Generäle Gotovina und Markac kann die moralischeGleichsetzung der jugoslawischen Kriegsparteien nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Es ist einhistorisches Urteil.
Es kommt nicht oft vor, dass Gerichte mit ihren Urteilen Geschichte schreiben. Die Revision des Urteilsdes Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien im Falle der kroatischen Generäle AnteGotovina und Mladen Markac ist ein solches historisches Urteil, dessen politische Konsequenzen nochnicht zur Gänze abgesehen werden können.
Als wichtigstes Ergebnis aber steht jetzt bereits fest, dass die moralische Gleichsetzung derjugoslawischen Kriegsparteien, die sich in den vergangenen Jahren immer mehr durchgesetzt hat undschließlich fast allgemein akzeptiert wurde, nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Es war eben nicht so, dass sich auf beiden Seiten angriffslustige Nationalisten gegenüberstanden, die mitdenselben kriminellen Mitteln dasselbe kriminelle Ziel der „ethnischen Säuberung“ verfolgten. Kroatienwar das Opfer der serbischen Aggression. Es hat einen legitimen Verteidigungskrieg geführt.
Wie in jedem Krieg gab es auch in diesem Krieg Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung; schwereVerbrechen, die zweifellos individuell geahndet werden müssen. Aber es gab keinen politischenGeneralplan der kroatischen Führung, im Zuge der Befreiung der von den serbischen Rebellen besetztenGebiete die serbische Zivilbevölkerung durch Gewalt und Androhung von Gewalt zu vertreiben. DieKroaten sind keine Vertreibernation. Das hat das Haager Tribunal festgestellt, und das ist gut so.
Kroatien hatte gute Gründe, gegen Serbien eine Klage wegen Völkermordes einzureichen. DerGegenklage Serbiens aber, die sich hauptsächlich auf die Operation „Sturm“ vom Sommer 1995 stützt,ist nach dem jetzt verkündeten Urteil des Haager Tribunals haltlos geworden. Dies erklärt die heftigenReaktionen aus Belgrad, wo wieder einmal gegen die Haager „Politjustiz“ gewettert wird. Für denkroatischen EU-Beitritt wiederum ist es wichtig, dass das Land endlich den Generalverdacht losgewordenist, die Kroaten seien in Wirklichkeit in der Wolle gefärbte Nationalisten, die nur vorgäben, aus derVergangenheit gelernt zu haben.
Wenn jetzt feststeht, dass General Gotovina kein Verbrecher ist, sondern seine Pflicht erfüllt hat, wird esZeit, dass auch andere ihre jeweiligen Geschichtsbilder einer kritischen Revision unterziehen. In Belgrad,aber auch in einigen Hauptstädten der EU.
Quelle: FAZ Online (16.11.2012), von Karl-Peter Schwarz.
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