TAZ (16.11.2012): UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag: Freispruch für kroatischen Ex-General
Der ehemalige kroatische General Ante Gotovina wurde im vergangenen Jahr wegen Kriegsverbrechenzu 24 Jahren Haft verurteilt. Jetzt sprach ihn das Gericht frei.
Die Freisprüche für den kroatischen Ex-General Ante Gotovina und den mitangeklagten Ex-GeneralMladen Markac durch das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag am Montag haben in Kroatien undin Serbien unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.
Während im Zentrum Zagrebs nach der Übertragung des Urteils auf einem riesigen Bildschirm Jubelausbrach, herrschte in Belgrad Bestürzung vor. Der für die Zusammenarbeit mit dem Tribunal zuständigeserbische Minister Rasim Ljajic erklärte, die Entscheidung sei ein Beweis für selektive Justiz.
Das UN-Kriegsverbrechertribunal hob damit eine erstinstanzliche Entscheidung vom 15. April 2011 auf.Die beiden Generäle waren damals wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeitbeim Vorgehen gegen die serbische Bevölkerung in Kroatien zu 24 bzw. 18 Jahren Haft verurteilt worden.
Das Gericht sah es damals als erwiesen an, dass beide Generäle Verantwortung für den Tod von 324Zivilisten und gefangene Soldaten trügen. Sie hätten in ihrem Militärbezirk zudem 90.000 Serben zumVerlassen der serbischen Siedlungsgebiete in der kroatischen Krajina gezwungen.
Der Fall Gotovina hatte seit Jahren in beiden Ländern große Emotionen hervorgerufen und zugleichbei Juristen und Militärexperten zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Im Kern ging es in derÖffentlichkeit beider Länder darum, ob die Wiedereroberung der von Serben 1991 besetzten Gebiete inKroatien durch kroatische Truppen 1995 rechtmäßig gewesen sei oder nicht.
Operation „Oluja“
General Gotovina hatte die kroatischen Truppen in der Region Dalmatien befehligt, denen es im August1995 in der Operation „Oluja“ (Sturm) gelang, die serbischen Truppen, die seit ihrer Offensive 1991 fastein Drittel des kroatischen Territoriums besetzt gehalten hatten, vernichtend zu schlagen. In 72 Stundenüberrannten kroatische Truppen damals die serbischen Stellungen auch in anderen Teilen des Landes,serbische Soldaten und insgesamt fast 200 000 serbische Zivilisten flohen damals in die von Serbengehaltenen Gebiete in Bosnien und Herzegowina und nach Serbien.
Nach der Militäraktion kam es zu Übergriffen an nicht geflohenen serbischen Zivilisten und Soldaten vorallem durch kroatische Zivilisten und Polizeiangehörige. Die Frage, ob die Generäle Gotovina und Markacdaran Verantwortung trügen, wurde erstinstanzlich bejaht, jetzt aber zurückgenommen.
Gotovina hatte immer wieder betont, dass er schon wenige Tage nach Abschluß der militärischen Aktionnach Bosnien und Herzegowina versetzt worden sei, um dort die Gegenoffensive „Maestral“ ( Westwind)vorzubereiten. Im ersten Urteil wurden diese Argumente nicht anerkannt, befremdlich wirkte zudem derFreispruch des verantwortlichen Polizeigenerals.
Das Gericht in Den Haag ist im Revisionsverfahren offenbar der Argumentation der Verteidigung gefolgt.Der Freispruch wird in der kroatischen Öffentlichkeit zudem als Bestätigung dafür gewertet, dass die
Wiedereroberung des Landes rechtens gewesen sei. Für die Verbrechen der serbischen Truppen 1991 inKroatien, denen mehr als 10 000 Menschen zum Opfer fielen, muß sich der serbisch-kroatische PolitikerGoran Hadzic in Den Haag verantworten.
Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic begrüßte das Urteil. Gleichzeitig räumte er ein, dass im Kriegauch auf kroatischer Seite „Fehler“ gemacht worden seien. Dafür sei aber der kroatische Staat insgesamtverantwortlich „und nicht Markac und Gotovina“. Zagreb sei bereit, „seine Schuld gegenüber denen,denen Unrecht durch den kroatischen Staat widerfahren ist, zu begleichen“.
Quelle: TAZ (16.11.2012), Erich Rathfelder.
URL: www.taz.de/UN-Kriegsverbrechertribunal-in-Den-Haag/!105657/