Vukovar ist eine geteilte Stadt – Trauma des Balkankriegs sitzt tief
Nachdem Kroatien 1991 seine Unabhängigkeit erklärt hatte, belagerten serbische Milizen die Grenzstadt Vukovar. Mehrere Monate lang waren die Bürger von der Versorgung abgeschnitten, die Stadt wurde fast vollständig zerstört und Tausende Bewohner starben. Bis heute sind die Wunden der Vergangenheit nicht verheilt.
„Wir hier in Vukovar haben keine Wahl: Wenn wir überleben möchten, müssen wir uns ändern.“
Liljana Gehrecke meint es ernst mit Vukovar. Trotzdem lächelt die vornehme alte Dame, wenn sie über ihre Heimatstadt spricht. Über die unsichtbaren Grenzen, die in den Straßen, Geschäften und Schulen, vor allem aber in den Köpfen verlaufen. Über das Feindbild, das je nach ethnischer Zugehörigkeit „Serbe“ oder „Kroate“ heißt.
„Anstatt mit Waffen führt man jetzt den Kampf mit Worten, mit nonverbaler Kommunikation. Wenn die Blicke töten könnten, gäbe es in Vukovar jeden Tag viele Tote.“
Vor dem Krieg lebten in dem hübschen Barockstädtchen 27 Ethnien friedlich miteinander, überwiegend Serben und Kroaten, aber auch Ungarn, Donauschwaben und viele andere. Doch davon ist nichts mehr da: Zwischen den einfachen Neubauten gibt es noch ein paar zerschossene Ruinen, aus denen Bäume wachsen. Und ethnische Minderheiten, die nicht mehr miteinander sprechen.
„Also wir haben nicht nur getrennte Schulen und Kindergärten, sondern auch getrennte Kaffeehäuser, ziemlich getrennte Kaufläden, Betriebe. Die Industrie, die vor dem Krieg sehr entwickelt war in Vukovar, ist völlig zerstört. Es gibt nur einige Baubetriebe, die etwas tun, und die sind geteilt in Serbisch und Kroatisch.“
Seit elf Jahren betreibt Liljana Gehrecke mit ihrer Organisation „Europahaus Vukovar“ Versöhnungsarbeit. Über die Jahre sind immer mehr Bürger gekommen, aber es kommen auch immer noch viele nicht. Das Trauma des Krieges sitzt tief.
1991, in den Monaten der Belagerung durch serbische Milizen und die jugoslawische Armee wurde Vukovar dem Erdboden gleichgemacht. 4000 Menschen starben, 260 allein bei einem Massaker, kurz nachdem die Stadt gefallen war, am 19. November 91. Dann war die gesamte Region bis 1998 serbisch besetzt.
Hinter einer zerschossenen Fassade: das kleine Tourismusbüro von Vukovar. Viel Sehenswertes gibt es nicht mehr. Auf dem Stadtplan sind ausschließlich Gedenkstätten der Schlacht eingetragen: der Keller des Stadtkrankenhauses, wo die Verletzten versorgt wurden, die alte Lagerhalle im Nachbardorf Ovcara, wo die Verschleppten festgehalten wurden, das Denkmal auf einem Acker, wo sie schließlich sterben mussten. Schauplätze des Grauens.
„Vukovar zählt in ganz Kroatien als Symbol: des Leidens, der Zerstörung, der serbischen Aggression, der Unmenschlichkeit. Ich glaube, dieses Image möchte man auch irgendwie aufrechterhalten.“
Ostkroatien ist immer noch eine Nachkriegsgesellschaft, sagt Suzanna Agotic, die im nahe gelegenen Osijek für die Nicht-Regierungs-Organisation „Nansen Institut“ arbeitet. Die Friedensbewegung stecke noch in den Kinderschuhen, und leider könnten Politiker in einer Kleinstadt wie Vukovar bei Wahlen immer noch mit der Täter-Opfer-Karte punkten.
Deshalb, glaubt Suzanna Agotic, halte die Politik auch an einem Re-Integrierungsprogramm für die serbische Minderheit in Ostkroatien fest, obwohl es bereits seit Jahren nach hinten losgeht: Unter anderem wurde der Bevölkerung das Recht auf eigene Schulbildung zugesichert. Seither gehen serbische und kroatische Kinder in getrennte Kindergärten und Schulklassen.
In der Praxis, sagt Suzanna Agotic, sieht das so aus: ein Gebäude, ein Haupteingang, aber zwei Eingangstüren.
Der Hass auf die anderen ist bei den Kindern von Vukovar ausgeprägter als bei ihren Eltern, das belegt eine Studie der Universität Zagreb. Suzanna Agotic kämpft mit ihrem Institut seit Jahren gegen diese Entwicklung an, indem sie versucht, gemeinsamen Unterricht an den Schulen zu etablieren.
Es gibt Zeichen der Hoffnung: freiwillige Bastel- und Computerstunden, an denen serbische und kroatische Schüler teilnehmen – in einem Raum! Eltern, die ihre Kinder eigentlich lieber auf eine gemeinsame Schule schicken würden. Vor zwei Jahren wurde der nationalkonservative Bürgermeister abgewählt. Und seit einem Jahr fährt sogar wieder eine Fähre über die Donau auf die serbische Seite.
„Wir geben nicht auf“, sagt Suzanna Agotic. „Das ist die wichtigste Botschaft: Wir geben nicht auf!“
Quelle: Deutschlandfunk/dradio.de (18.11.2011). URL: http://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/politik/fremde-federn-…